Foto: Christian Schröter, CC BY SA
Von der Fabrik zum Buergerort – die Geschichte der »Alten Weberei« Guetersloh
Von der Fabrik zum Bürgerort – die Geschichte der »Alten Weberei« Gütersloh
#Gütersloh, 13. Dezember 2025
Kaum ein Gebäude in Gütersloh spiegelt den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandel der Stadt so eindrücklich wider wie die Weberei. Ihre Geschichte reicht von der industriellen #Blütezeit über politische Auseinandersetzungen um Stadtraum bis hin zu grundlegenden Fragen nach der Zukunft eines Bürgerzentrums im 21. Jahrhundert.
Industrieller Ursprung, 1874 bis 1975
Der Aufstieg Güterslohs zur #Industriestadt ist untrennbar mit der #Textilindustrie verbunden. 1874 nahm die Firma #Greve & #Güth als erste mechanische Weberei der Stadt ihren Betrieb auf. Was mit 13 Beschäftigten begann, wuchs rasant: 1909 arbeiteten hier bereits über 200 Menschen, 1939 waren es 447. Die #Weberei war über Jahrzehnte ein zentraler Arbeitgeber und prägte das Stadtbild wie auch das soziale Leben.
Mit dem allgemeinen Niedergang der Textilindustrie kam jedoch das Aus. 1975 wurde der Betrieb geschlossen, 140 #Arbeiter verloren ihre Arbeitsplätze. Die Stadt Gütersloh erwarb das rund 18.000 Quadratmeter große Gelände – zunächst ohne klare Perspektive für dessen Nutzung.
Der Kampf um Räume, 1970 bis 1978
Parallel zur Krise der Industrie wuchs in Gütersloh seit Beginn der 1970er Jahre ein anderer Konflikt: der Mangel an offenen Treffpunkten für #Jugendliche. Erstmals wurde im Frühsommer 1970 öffentlich ein städtisches Jugendzentrum gefordert. Ein Offener Brief, getragen von einem breiten Bündnis politischer Jugendorganisationen, kirchlicher Gruppen und engagierter Einzelpersonen, brachte das Thema auf die Agenda von Politik und Verwaltung.
Bis dahin traf sich die Jugend in kirchlichen Räumen, Kneipen oder auf öffentlichen Plätzen. Die neu gegründete Diskussionsrunde »Forum« forderte ein Jugendzentrum für nicht organisierte Jugendliche und verlangte Mitsprache. Die Stadt reagierte zögerlich. Provisorische Lösungen wie das sogenannte »Jugendcafé« im ehemaligen #Toilettenkeller am #Hertie Vorplatz – von Jugendlichen spöttisch »Jugendklo« genannt – verschärften den Unmut eher, als ihn zu besänftigen.
Erst im Januar 1974 eröffnete das #Jugendzentrum #Gütersloh (JZG). Es entwickelte sich rasch zu einem wichtigen Treffpunkt, insbesondere für junge Menschen mit Migrationsgeschichte. Gleichzeitig kam es dort zu massiven Konflikten mit rechten Gruppen und Skinheads. Während die Stadtgesellschaft insgesamt früh Haltung gegen Rechts zeigte, wurde das Problem im JZG lange unterschätzt. Viele politisch links orientierte Jugendliche wandten sich schließlich einem neuen Ort zu: der Alten Weberei.
Rettung statt Abriss, 1979 bis 1984
Nach der Schließung der Fabrik plante die Stadtverwaltung zunächst den Abriss der Gebäude zugunsten von Parkplätzen für ein #Seniorenzentrum und die neue #Stadtbibliothek. 1979 regte sich Widerstand. Das Aktionskomitee »Rettet die Fabrik!« und später der neugegründete Verein »Alte Weberei« forderten den Erhalt des Ensembles und seine Umnutzung zu einem soziokulturellen Zentrum.
Dabei ging es nicht allein um Denkmalpflege – obwohl die Industriearchitektur mit ihrem verzierten Ziegelmauerwerk ausdrücklich betont wurde. Im Mittelpunkt stand die Idee eines innerstädtischen Treffpunkts: offen, niedrigschwellig, nicht kommerziell, als Gegenentwurf zu den etablierten Kulturorten wie #Stadthalle und #Theater. Die Weberei sollte ein »öffentliches Zuhause« werden.
Der politische Weg dorthin war lang und von Auseinandersetzungen geprägt. Streitpunkt war weniger das Konzept als die Finanzierung. 2 Gutachten kamen zu sehr unterschiedlichen Kostenschätzungen. Nach einem vielbeachteten Straßenfest im Mai 1981 mit mehr als 1.000 Besuchern entschied der Stadtrat schließlich politisch: Am 26. Juni 1981 wurde der Erhalt beschlossen, am 14. Mai 1982 – gegen die Stimmen der CDU – das #Bürgerzentrum. Am 13. Januar 1984 wurde das Bürgerzentrum »Alte Weberei« eröffnet.
Zwischen Offenheit und Krise, 1985 bis 1995
Anders als das Jugendzentrum war die Alte Weberei nie eine städtische Einrichtung. Der kommunale Zuschuss war auf maximal 1 Drittel der Ausgaben begrenzt, den Rest musste der Trägerverein selbst erwirtschaften. Von Beginn an waren daher kulturelle Angebote, #Gastronomie und auch gewerbliche Nutzungen Teil des Konzepts.
Doch die wirtschaftlichen Hoffnungen erfüllten sich nicht. Ab 1989 schrieb die »Alte Weberei« Verluste, 1995 galt sie als faktisch pleite. Gleichzeitig verschärften sich interne Konflikte über Mitbestimmung und Verantwortung. Das ursprünglich angestrebte Hausrats und Beteiligungsmodell stieß an rechtliche und organisatorische Grenzen.
Gleichzeitig entstanden erfolgreiche Formate wie das #Sonntagsfrühstück, das generationsübergreifend und niedrigschwellig wirkte, oder das Tanzcafé für ältere Menschen. Andere Bereiche, insbesondere der Jugendbereich, blieben hinter den Erwartungen zurück. Finanzielle Einschnitte führten 1987 zur Kündigung eines Sozialpädagogen und zu einer 4 wöchigen #Besetzung der Weberei. 1989 beschloss die Mitgliederversammlung, #Mitbestimmung deutlich einzuschränken – ein Einschnitt, der oft als Anfang vom Ende der ursprünglichen Idee gesehen wird.
Professionalisierung und Brüche, 1996 bis 2025
Mitte der 1990er Jahre übernahm der #Kulturberater Peter Vermeulen die Sanierung der Weberei. Der Umbau war radikal: Personalabbau, Ende ehrenamtlicher Arbeit, flexible Löhne, Ausbau der Gastronomie und Reduzierung des Kulturprogramms. Wirtschaftlich war der Kurs erfolgreich – 1996 schrieb die Weberei keine Verluste mehr – inhaltlich blieb er umstritten. Auch der neue Name, »Die Weberei«, markierte den Bruch mit der Vergangenheit.
2007 folgte dennoch die #Insolvenz. Nach politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen übernahm schließlich die »PariSozial gGmbH« den Betrieb. 2013 wurde diese wiederum von der »#Bürgerkiez gGmbH« zweiter Gütersloher Brüder abgelöst. Ihr Konzept setzte auf weitere Professionalisierung und eine hochwertige, hochpreisige Gastronomie. Zwar war ein Bürgerbeirat vorgesehen, doch ging damit für viele die Idee des Bürgerzentrums als offenes, gemeinschaftliches Zuhause weitgehend verloren.
Heute steht die Weberei erneut an einem Wendepunkt. Ihre Geschichte ist geprägt von #Engagement, #Konflikten, #Kompromissen und #Wandel. Die zentrale Frage bleibt: Welche Rolle soll die Weberei künftig spielen – als wirtschaftlich optimierter Kulturbetrieb oder als offener Raum für Stadtgesellschaft, Teilhabe und nicht kommerzielle Kultur?
Die Antwort darauf ist – wie schon so oft – eine politische und gesellschaftliche Entscheidung.
Die Weberei Gütersloh
Bogenstraße 1–8
Die Weberei Gütersloh
Telefon +495241 234780
E-Mail info@die-weberei.de
www.die-weberei.de
Gütsel Webcard, mehr …
